Letzten Sonntag konnte die Welt eine neue Französische Revolution beobachten: Während der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen haben französische Wähler die politische Einrichtung geächtet, die Frankreich mehr oder weniger seit Ende des Zweiten Weltkriegs regiert.

Dadurch traten zwei Außenseiter in Erscheinung, die sich in ihren politischen Programmen und Persönlichkeiten nicht unähnlicher sein könnten: Emmanuel Macron – ein unabhängiger Politiker der Mitte und politischer Neuling, der erst letztes Jahr eine parteiübergreifende Bewegung mit dem Namen „En March!“ (dt. in etwa „los geht’s“ oder „vorwärts“) gestartet hat – und Marine Le Pen, eine Euroskeptikerin und Europaabgeordnete, erfahrene politische Sprecherin, Kandidatin bei der letzten Wahl, Leiterin des rechten Front National (bis zu ihrem Rücktritt kurz nach der ersten Runde).

Hier eine Zusammenfassung meiner Beobachtungen…

Diese Revolution hat soeben erst begonnen: Die Wahlbeteiligung von 77% lag etwas unter der von 80% bei der ersten Wahlrunde 2012, spricht aber von einem andauerndem Interesse für und Wunsch nach Veränderung. Diese Wählerschaft wird den nächsten Präsidenten und dessen Wahlversprechen beim Wort nehmen.

Wer am 7. Mai als Präsident hervorgehen wird: Während der Anlaufzeit von März bis zum 20. April erfreute sich Maron einer stetigen Unterstützung von etwa 23-25%, im Gleichschritt mit Le Pens etwas niedrigerem Prozentsatz. In der zweiten Runde werden sich diejenigen, die andere Kandidaten gewählt haben, im Zuge des Kampfes gegen den Front National hinter ihn stellen. Ich denke, daß der Sieg ihm gebührt. Meine vorsichtige Prognose wird von Umfragen nach der ersten Runde unterstützt.

Was uns zum nächsten wichtigen Ereignis bringt…

Wieso die französischen Parlamentswahlen entscheidend sind (11. & 18. Juni 2017):

Der französische Präsident kann nur erfolgreich sein, wenn der von ihm (oder ihr) gewählte Premierminister eine mehrheitliche Unterstützung in der Assemblée Nationale findet.

Aufgrund der Tatsache, daß weder Macron noch Le Pen eine etablierte Partei hinter sich stehen haben, werden beide im Parlament Freundschaften schließen müssen um Pläne umzusetzen. Dies könnte schwierig werden falls die Wähler ein Parlament ernennen, welches sich gegen das Programm des Präsidenten stellt.

Der technische Begriff für diese Phänomen lautet „Cohabitation“ (dt. etwa „zusammenleben“) und beschreibt eine Macht teilende Vereinbarung zwischen Präsident und Premierminister. Ein paar berühmte Beispiele: der sozialistische Präsident Francois Mitterrand, der mit dem republikanischen PM Jacques Chirac zusammenarbeiten musste und Präsident Chirac, der sich wiederrum mit dem sozialistischen PM Lionel Jospin verständigen musste (dieser Politico-Artikel erläutert den Kontext näher).

Aus diesem Grund hat Macron Kandidaten aller Parteien dazu eingeladen, sich seiner Bewegung „En March!“ anzuschließen, doch etablierte AN-Mietglieder zögern, dieses Angebot anzunehmen, um ihre Parteibasis nicht zu entfremden. Währenddessen hat es der Front National geschafft, daß seine Mitglieder auf lokaler Ebene gewählt wurden, doch trotz seiner neugefundenen Popularität hat er bisher nur 2 Sitze im Parlament.

Meines Erachtens spricht Emmanuel Macrons Strategie des Konsens und der progressiven Bündnisse jenseits von Parteigrenzen eine wachsende Anzahl von Wählern an (insbesondere die jünger Generation), die Parteipolitik und Polarisation satt haben. Im Vergleich zu seinem Pendant Marine Le Pen scheint er mir einen positiveren Weg einzuschlagen indem er wichtige Themen wie Arbeitslosigkeit, Bildung und soziale Sicherheit anspricht, die Wähler beschäftigen. Trotzdem verbleibt Marine Le Pen als ausgesprochener und eloquenter Katalysator für diejenigen, die sich von einer multikulturellen und vernetzten Welt ohne Grenzen nicht angesprochen fühlen (oder diese sogar fürchten), siehe diese interessante Aufnahme ihrer Ansprache an die Studentenvereinigung von Oxford und ihrer Antworten auf Fragen von einem sehr scharfsinnigem studentischen Publikum.

Es steht mir nicht zu, zu beurteilen, wer ein besserer Präsident für Frankreich wäre und doch wünsche ich mir zwei Dinge:

Möge diese Revolution eine friedliche und wohlwollende sein.

Möge das Ergebnis dieser Wahl der französischen Bevölkerung gut dienen und somit auch ganz Europa.

Vive la France!

Judith